Sonntag, 21. September 2008

Die Erzählerin

Erst einmal möchte ich mich vorstellen. Das gehört sich so. Mein Name ist Loretta. Vor wenigen Tagen bin ich 25 Jahre alt geworden; ich hasse Geburtstage. Ich bin 1.71 cm gross, habe schulterlanges dunkles Haar. Ich wünschte ich hätte ein paar zusätzliche Locken. Mein Gesicht ist ebenmässig, man sagt mir nach, ich hätte einen Touch von Carla Bruni. Das macht mich nicht unstolz. Ich habe einen langen Hals, der in einen eher schmalen Oberkörper mündet. Dafür sind meine Brüste im Verhältnis eher gross, was aber nichts schadet, wie ich in späteren Jahren herausgefunden habe. In der Pubertät hatte ich aber Probleme damit. Meine Hüften sind zu breit, finde ich – aber das sagt fast jede Frau, die ich kenne, zu sich selbst – und ich kenne viele. Voilà. Und sonst? Eher lange Beine, hübsche Unterschenkel, schön manikürte Füsse (meine Füsse sind meine Lieblingsregion).

Meine Arbeitslosigkeit hat mich zur irren Idee verführt, mich als Erzählerin anzubieten. Ich habe eine angenehme Stimme und war einfach mal gespannt, ob es Menschen gibt, die sich Zeitungsartikel, Gedichte, Kurzgeschichten, Romane und dergleichen vorlesen lassen. Siehe da: Mein Inserat hatte Erfolg. Umgehend hat sich per SMS Nino gemeldet – genauer gesagt, Ninos Mutter. “Mein behinderter Sohn wartet auf Sie”, schrieb sie knapp, “bitte antworten Sie umgehend”. Ich war gerührt. Da bemühte sich doch tatsächlich eine Mutter, ihrem Sohn im grauen Behindertenalltag etwas Abwechslung zu gönnen. Wobei ich hier klar stellen muss, dass der Behindertenalltag keineswegs grau sein muss. Meine langjährige Erfahrung im Sozialdienst hat gezeigt, dass sie es oft bunt treiben, die Rollstuhlgenossen, dass sie oft lustiger sein können als irgendwelche drögen Beamten, Vertreter oder Lehrer, die zwar alle Viere ungehindert bewegen können, aber mental eher auf Sparflamme eingestellt sind.

Aus unerfindlichem Grund hatte ich das stringente Berdürftnis, mich für die erste Begegnung mit Nino erotisch anzuziehen. Nein, pervers bin ich keinesfalls, aber... irgendwie... eine durchsichtige weisse Bluse und einen engen Rock wollte ich ihm gönnen, dem unbekannten Zuhörer. Meine vordergründigen Gedanken galten natürlich der Lektüre. Was sollte ich ihm denn vorlesen? Mehr zufällig griff ich mir Kästners “Fabian” aus dem Regal. Schriften für Erwachsene. Vage erinnerte ich mich daran, dass da irgendwo eine so genannte “Stelle” war in diesem Buch. Die Stelle, wo Fabian die Brustwarze einer Freundin massiert, und zwar so lange, bis sie gross und hart wird. Das wollte ich ihm geben, dem unbekannten Nino.



Das Mehrfamilienhaus im abgelegenen Quartier fand ich nicht so rasch.
Ninos Mutter führte mich gleich in die Küche, wo ich auf einem Holzschemel Platz nehmen musste. Die Wohnung war karg eingerichtet, karg, aber keinesfalls ärmlich. Sie bot mir eine Tasse Yin-Yang-Tee an und durchbohrte mich mit ihren Blicken, so, als wollte sie sagen “lass die Finger von meinem Sohn, Luder”. Ihre honigsüsse Stimme kontrastierte hierzu seltsam. “Er ist wirklich... krank”, sagte sie, “gelähmt, wissen Sie. Vom Hals an abwärts”. “Tetraplegiker?” fragte ich reflexartig. “Ach... Sie kennen sich aus? Nein, nein, nichts Neurologisches. Mein Sohn ist psychosomatisch gelähmt, verstehen Sie? Die Psyche beeinflusst den Körper...”. Sie hatte Tränen in den Augen.

Nino war auffallend hübsch. Die Zähne vielleicht etwas zu weiss, aber die dichten Augenbrauen, die hoch stehenden Wangenknochen und vor allem das lockige, dunkle Haar und der grosse Mund machten ihn unwiderstehlich. Nino war eine gepflegte Erscheinung. Er begrüsste mich mit einem freundlichen Kopfnicken; ich setzte mich ihm gegenüber auf den Stuhl, den seine Mutter bereit gestellt hatte. Nino sass auf einem blauen Rollstuhl, an dessen für mich sichtbare Seite ein altes Bravo-Poster aufgeklebt war. The Sweet. “Ich bin Glamrocker”, sagte Nino zu mir und lächelte geheimnisvoll. The Sweet. Klar. Ich erinnerte mich. War Nino schwul? Auch mich faszinierte die Band damals, vor allem die stilistische Wendung von Co-Co zu Ballroom Blitz und Hell Raiser. Brian Connollys unbestrittene Schönheit.

Etwas verlegen begann ich in meinem Buch zu blättern, Nino fixierte mich unentwegt. Er schien aufzuatmen, als seine Mutter den Raum verliess und die Tür mit einem Seufzer hinter sich schloss. Jetzt waren wir ganz allein, der Nino und ich. Ich entledigte mich meines Capes und ahnte, wohin er starrte. Männer. Ob behindert oder nicht. Männer. Ruhig und erwartungsvoll sass er auf seinem Stuhl. Ich begann, aus dem mitgebrachten Buch vorzulesen. Nino war ein konzentrierter Zuhörer. Nervös nestelte er an der bunten Häkeldecke, die seine Beine verbarg – anscheinend konnte er die Finger ein wenig bewegen. Dann kam sie, die Brustwarzenstelle in “Fabian”. Nino hielt den Atem an. “Lesen Sie das nochmals, bitte.” “Wie ein kleiner Junge”, dachte ich gerührt, “wie ein kleiner Junge”. Nachdem ich ihm die Stelle so oft vorgelesen hatte, wie er das wünschte (so an die 10 – 15 Mal), stand ich auf und strich meinen Rock glatt. “Du... hast doch auch Brustwarzen?” Die naive Bemerkung brachte mich zum Lachen. Ich hatte aber keine Lust auf weitere Provokationen, strich ihm mit leichter Hand über den Kopf und verabschiedete mich. Die Mutter nickte mir unter der Tür zu, reichte mir die Hand aber nicht zum Abschied. Ein leichtes Frösteln packte mich. Zuhause legte ich mich gleich ins Bett und dachte über mich nach. Was war denn über mich gekommen, mich diesem jungen behinderten Mann in durchsichtiger Bluse und engem Rock zu präsentieren? War ich von Sinnen? Drei weitere Antworten auf mein Inserat überflog ich in Eile – mit einem Mal hielt ich es für nicht mehr so wichtig, umgehend zu antworten.
Eine Woche später ging ich erneut zu Nino. Dieses Mal trug ich einen schlichten grauen Pulli und Jeans. Unter dem Arm trug ich den “Homo Faber”. Max Frisch. Nino war kerzengerade aufgerichtet; ein Spreuerkissen stützte sein Kreuz. Er wirkte, als hätte er seit Tagen auf mich gewartet. Er hatte etwas Anrührendes. Er musterte mich enttäuscht, wie mir schien; sein Blick streifte meinen gut verhüllten Busen und den Schritt der engen Jeans. Nein, Leser. Kein Camel Toe. Ich las die Stelle, an der die Tochter des Protagonisten an einem Epiduralhämatom stirbt. Nino hatte gleich Tränen in den Augen. “Lesen Sie mir nächstes Mal was Prickelndes. Bitte. Und... ziehen Sie sich bitte so an wie letzte Woche. Bitte.” Ich fühlte, wie ich rot wurde. Nino trug einen senfgelben Seidenpijama, der ihm ausgezeichnet ins Gesicht stand. Hatte er sich für mich schön machen lassen? Von seiner Mutter?

Mir schien, die Woche dauerte ewig, und mein Arbeitslosengeld reichte nicht für viel. Ich verbrachte die Abende zu Hause und träumte von Nino. Wie er wohl gewesen war in vollem Saft, voller Kraft? Ob er noch Jungmann war? Was, wenn ich ihn wirklich hoch kriegte? Den erregt keuchenden Nino, den zitternden Nino, dern verlangenden, geilen Nino? Langsam zog ich meinen Pulli aus, knöpfte den BH auf und liess ihn zu Boden fallen. Meine Brüste waren nicht von schlechten Eltern, wirklich nicht. Würde er daran lutschen wollen? Ich zog wieder die durchsichtige Bluse an und zwängte mich in den hautengen, schwarzen Rock.

Ich wagte es. “Nackt im Antiquariat” aus der Anthologie “die Schokospalte”. Erotik, mit etwas Literaturgeschichte verbrämt. War es das, wonach Nino gierte? Die Story um Herrn Meylan erregte ihn stark; ich merkte das an seinem Keuchen. Ich hielt inne, blickte prüfend zur Tür, liess das Buch sinken und knöpfte meine Bluse auf. “Komm her, komm...” Ninos Augen leuchteten. Er war nur noch Lust, Verlangen, Geilheit. Was doch ein paar nackte Frauenbrüste auf einen Heranwachsenden für Wirkung entfalten können... Seine angestaute Sexualität. Für mich war Nino etwas Wunderbares. Ungefährlich, weil gelähmt, aber doch strunzgeil und verlangend. Ich habe eher lange Nippel, wie man sich das bei schwarzen Frauen gewohnt ist, “suckable nipples”, wie der Ami sagen würde. Ich legte die “Schokospalte” auf den Stuhl und ging langsam auf Nino zu. Dieser öffnete den Mund; seine Zunge war zu sehen. Was machte ich da? Ungeahnt flink schnellte sein Kopf nach vorn; er erhaschte meine linke Brustwarze und begann inbrünstig zu saugen. “Ahhh, das schmerzt”, schrie ich wohl etwas zu laut. Augenblicklich waren draussen Schritte zu hören. Ich packte meinen Busen ein und konnte mich gerade noch rechtzeitig hinsetzen, als Ninos Mami die Tür öffnete. “Was lesen Sie da?” fragte sie neugierig. “Wir haben einfach gelacht”, antwortete Nino geistesgegenwärtig. “Ahhh, ein Scherz, hat sie gesagt.” Missbilligend starrte seine Mutter auf meine Bluse und deckte die Beine ihres Sohnes liebevoll zu.

Nino war bereit für Schärferes. Zu unmissverständlich war seine naturgemäss sparsame Körpersprache, zu verlangend sein Blick. Gefährlich konnte er mir ja nicht werden, der lahme Junge. Des Teufels Hörner stachen mich in den Hintern, als ich mich in der folgenden Woche vor dem Spiegel zurecht machte. Ein paar dezente Parfumspritzer, etwas Cajal, die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. So mochte mich mein Ex-Lover am Liebsten. Ich ging aufs Ganze und zog mir ein himmelblaues T-Shirt über. “Titties”, stand da überflüssigerweise drauf. Um Nino einen besseren Zugriff zu ermöglichen, und um mich allen Eventualitäten zu stellen, klaubte ich einen lindgrünen weiten Rock aus dem Schrank, den ich seit Jahren nicht mehr getragen hatte. Die übliche Teezeremonie mit Ninos Mutter liess ich geistesabwesend über mich ergehen. Diesmal trug ich einen Pasolini bei mir, dessen Umschlag ich vor der Frau tunlichst verbarg. Jaja, Belesener, auch Pasolini hat Erzählerinnen beschrieben. 120 Tage von Sodom. “Titties”, las Nino belustigt von meinem T-Shirt ab und liess das Wort auf seiner Zunge schmelzen. “Titties”. Seine Höflichkeit gebot ihm, erst mal Aufmerksamkeit zu mimen, und ich las ihm ein paar Quälereien vor. Die Folterungen im Hinterhof, von denen mir jedes Mal schlecht wird. Nino schien überhaupt nicht hin zu hören und fixierte gebannt meine Knie. Auch Frauenknie können Vulkane aufbrechen lassen in den Herzen Pubertierender. So geschah es auch. “Rück näher”, sagte er heiser, und ich folgte seinem Wunsch. “Schieb Deinen Rock nach oben... bitte.” Ich folgte seinem Wunsch. Ach ja, Eingangs habe ich ganz vergessen, mein Schamhaar zu beschreiben. Es ist hübsch gekraust wie bei den meisten Europäerinnen, die sich nicht rasieren, und in der Mitte, an der Spalte, etwas dichter. Mein Schamhaar ist warm, weich und flaumig. Gott, oder wer auch immer, hat es gut gemeint mit mir. Ich wusste, dass an den Rändern meines knappen Höschens ein wenig Haarpracht zu sehen war. Erst in der kommenden Woche hatte ich einen Bikinizonen-Termin bei meiner Kosmetikerin. Nino starrte, ich öffnete langsam die Beine. Dann setzte ich erneut zum Lesen an. “Lass diesen Scheiss Pasolini”, sagte Nino plötzlich, heftig erregt, “lass überhaupt alles. Ich will Dich.” Zu meiner grenzenlosen Verwunderung erhob er sich aus dem Rollstuhl und kam wankenden Schrittes auf mich zu. “Zeig Dich mir”, forderte er mich auf und packte mich an den Schultern. Meine Überraschung war grösser als die Angst, dass er mir etwas tun könnte. In seiner tollpatschigen Art wirkte Nino rührend – dennoch war ich gespannt auf ihn. Das Ungewöhnliche an der Situation machte mich an: Dieses Jungenzimmer mit den Glamrockern an allen Wänden – von Gary Glitter über T. Rex bis Slade und Suzi Quatro fehlte wirklich nichts. Hinzu kamen die durchgelegene Matratze, die zwei kleinen Fenster, der mausgraue Flokatiteppich... und diese Mutter, Ninos Mutter, die – einem Zerberus gleich – den Hades bewachte. Den Hades, jaja, Ninos Zimmer. Heiss war es jedenfalls – mir rannen Schweissperlen aus den Achseln. “Ich kann Dich riechen”, knurrte Nino hungrig. Für den Bruchteil eines Augenblicks erinnerte er mich an Hannibal Lecter (“i can smell your pussy”). Roch er meinen Achselschweiss? War es möglich, dass die psychosomatisch bedingte Lähmung, die jetzt aufgehoben schien, sein Riechorgan beflügelte (für die Mediziner unter Euch: den Tractus Olfactorius, der zur Perzeption direkt in der Hirnrinde endet?). War Nino gar ein kleines Monster? Ich schmiegte mich an ihn, versuchte so, ihn ein wenig zu beruhigen. “Ich bin nur Deine Erzählerin, weisst Du, nur Deine Erzählerin.” Jetzt wollte ich ihn auch. Nino duftete nach Body Lotion, und ich stellte mir vor, wie seine Mutter ihn liebevoll einrieb, Tag für Tag, ohne eine einzige Stelle seines Jungenkörpers auszulassen. Ninos Lippen suchten meinen Hals; dann knabberte er an meinem Ohrläppchen. So viel differenzierte Zärtlichkeit? Ich spürte, wie meine Nippel sich aufrichteten, gegen meinen Willen eigentlich. Nino zog mich an sich und strich mit seinen grossen Händen über meine Hüften. Er befühlte den dünnen Stoff meines Rocks. “Wunderbar”, brummte er, “einfach wunderbar”. Dann trat er ein paar Schritte zurück und liess sich mit einem leisen Stöhnen auf sein Bett fallen. Unerwartet schnell öffnete er die zwei Knöpfe an seiner Pijamahose. Sein stattlicher Penis raubte mir den Atem. Sein Zentralorgan schien vor Erwartung zu pulsieren; Nino harrte meiner. Ich baute ihm eine Brücke und setzte mich auf ihn. “Bluse öffnen”, flüsterte er. Beim Anblick meiner nackten Brüste gingen ihm fast die Augen über. Ich musste mich ein wenig dehnen, um ihm den Raum zu verschaffen, den er in meinem Innern benötigte. Dann nahm alles seinen natürlichen Lauf. Ich ritt ihn sanft. Zwischendurch deckte ich ihn spasseshalber zu, mit meinem lindgrünen Rock, den Nino. Er musste sich vorkommen wie unter einer Glocke. Erst war er zurückhaltend, dann brach er aus ihm heraus, der Vulkan seiner Jugend. Ich hätte nicht mehr sagen können, wer wem die Sporen gab, ich ihm, oder er mir. Ich bevorzuge übrigens die Reitstellung, weil mir scheint, ich könne den Mann unter mir so besser kontrollieren. Ich bilde mir ein, seinen Orgasmus mit meinen Scheidenmuskeln zu steuern. Nino schien es nur um meine hüpfenden Titten zu gehen. Titties. Jaja, Titties. Dann verloren wir beide vollends die Beherrschung. Wir versanken in einem innigen Zungenkuss; je inniger er mit mir züngelte, desto intensiver wurde das Wärmegefühl in meinem Bauch. Das Bett quietschte, dass es eine Freude war. Die Tür in unserem Rücken hörten wir nicht. Erst ein hässliches Geräusch riss uns aus der Trance, das Geräusch einer zusammenbrechenden Frau, die dann mit dem Kopf auf dem Steinboden aufschlägt, knapp am Flokati vorbei. “Komm, wir gehen”, sagte Nino kurz, schnappte sich eine Unterhose aus dem Schrank und zwängte sich in seine Jeans. “Jahrelang hat sie mich als ihr Baby benutzt und von meiner Abhängigkeit profitiert, die Schlampe.” Seine Sprache schockierte mich ein wenig, immerhin lag da seine Mutter am Boden, blass und unscheinbar. Irgendwie tat sie mir leid. Aber Nino zog mich hinter sich her, griff sich eine dicke Brieftasche aus einer der Küchenschubladen, und wir traten ins Freie. “Seltsames Phänomen”, war einen Tag später in der Zeitung zu lesen. “Mutter, die über Jahre ihren aus psychosomatischen Gründen gelähmten Sohn gepflegt hat, kann sich seit gestern nicht mehr bewegen.
Ihr vormals immobiler Sohn hat sich mit einer beträchtlichen Geldsumme davon gemacht – in Begleitung einer jungen Frau. Signalement: (...)

[(c) by Anita I.]

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