Sonntag, 12. Juli 2009

Fatmas Traum

Fatma lebte mit ihrer Mutter mitten in der Stadt. Ihr Vater war schon zehn Jahre zuvor nach A. gezogen und hatte ein Geschäft mit abyssinischen Spezialitäten eröffnet (Abyssinia = Eritrea und Aethiopia). Mit seinen Zutaten für „mildes und angenehm scharfes“ Essen, Fladenbrot und Vegetarisches hatte er jedoch Konkurs gemacht. Dann war er abgetaucht – kurz nachdem er seine Frau Nezra und Tochter Fatma aus Eritrea hatte nachkommen lassen. Fatma war bereits siebzehn als sie mit ihrer Mutter die winzige Dachwohnung in A. bezog. In einem Crashkurs hatte sie Deutsch gelernt – gerade genügend um sich über Formalitäten zu verständigen. Ihre Mutter lehnte Kontakt mit der „verseuchten westlichen Welt“ strikte ab und erwartete das auch von ihrer Tochter. Fatma aber war lebenshungrig. Sie war nach der Scharia erzogen worden, dem göttlichen Gesetz, das alle Lebensbereiche der Muslim regeln soll. Ursprünglich meint der arabische Begriff den Pfad in der Wüste, der zur Wasserquelle führt. Die Quelle ist natürlich Gott. Fatma kannte den Koran sehr gut: Dort kam das Wort „Scharia“ nur einmal vor. Moderne Islamisten, wusste sie, erwarteten von der Scharia als Grundlage der Rechtsprechung die Lösung für alle religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Gegenwart.Jetzt stand sie vor dem hohen Wandspiegel und ordnete ihr Haar. Wieso durfte sie es nicht offen tragen? In all den Jahren hatte Fatma das nie verstanden, hielt sich aber an die Regeln – auch aus Loyalität ihren Glaubensgenossinnen gegenüber, mit denen sie sich zum Gebet traf. Das Gebet war („Fard“) Pflicht für jeden Gläubigen. Dann schlüpfte sie in ihr langes Kleid. Fatma hatte einen appetitlich drallen Körper – Verführung pur. Ihre absolute Zurückhaltung, ihr ernster Gesichtsausdruck und das weisse Kopftuch, das sie nie abzulegen schien, machten sie im kleinen Stadtquartier zu einer absolut begehrenswerten Frau. „Was ist wohl ihr Geheimnis?“ fragten die gottlosen Männer, die vor der kleinen Kneipe ihre Harleys auf Hochglanz polierten. „Hast Du ihren Hintern gesehen?“ „Ob die es schon mal gemacht hat?“ „Allah wird es ihr eines Tages höchstpersönlich besorgen“ war die herablassende und respektlose Antwort eines Säufers. Den Satz quittierten alle mit lautem Grölen. Fatma ahnte manchmal, dass es um sie ging, sah und hörte aber weg. Mit Männern wollte sie nichts zu tun haben. Ihre absolute Pflicht war es, der Mutter beizustehen, der es in der fremden Kultur beschissen ging, und zu beten. Ganz tief in ihrem Innern aber träumte Fatma. Sie träumte auch, während sie betete – die leise gesprochenen Texte kannte sie ja seit langer Zeit auswendig und musste sich kaum konzentrieren. Die einfache aber tiefe afrikanische Weisheit „wenn der Rhythmus der Trommeln sich ändert, müssen die Tänzerinnen ihre Schritte anpassen“ hatte es ihr angetan. Sie lebte mitten in Europa. Hier war der Rhythmus der Trommeln anders als in Eritrea, ganz gewiss. Daran änderten auch die Treffen mit ihren Glaubensgenossinnen nichts. Also musste sie irgendwann ihre Schritte anpassen. Ihr blühender Körper, ihr glänzendes, pechschwarzes Haar, ihre seelenvollen Augen wollte sie nicht länger vor aller Welt verbergen. Bloss – wie sollte sie das anstellen? Ihr war zu Ohren gekommen, dass eine abtrünnige Glaubensgenossin in A. heimlich gesteinigt worden war – wie die Scharia es befahl. Die grauenvolle Tat hatte am helllichten Tag auf einer Dachterrasse stattgefunden. Fatma lebte in tief verwurzelter Furcht. Oft lag sie lange wach neben ihrer schnarchenden Mutter und starrte direkt in den Mond, der vor dem Dachfenster stand und sie beschien. Es war in einer dieser Nächte, als sie beschloss, sich vor dem Mond zu entblössen. Sie wusste, dass der Planet in den meisten Kulturen weiblich war. La luna. La lune. Es war eine laue Sommernacht, als Fatma tief in ihrem Innern ein eigenartiges Kribbeln spürte. Vorsichtig nestelte sie am obersten Knopf ihres weissen, langen Nachthemds. Ob ihre Mutter wirklich schlief? Kein Zweifel. Ihr Mund stand offen; der Kopf war zur Seite gekippt. Ein grässlicher Anblick. Ein Lächeln erhellte Fatmas Gesicht. Ein Lächeln, dem ein unhörbarer Seufzer folgte. Sie bemitleidete ihre Mutter. Diese hatte es keineswegs einfach, war nirgendwo integriert und verliess die stickige Dachwohnung kaum. Ihre Lebenszeit verbrachte sie mit dem Nähen von Vorhängen, die nicht benutzt werden konnten, weil es bloss zwei Fenster gab - ein kleines in der Küche und ein etwas grösseres im Wohnraum, der gleichzeitig als Schlafzimmer diente. Langsam öffnete Fatma den zweitobersten Knopf ihres Hemds, dann den dritten, vierten… bis ihre linke Brust vollständig entblösst war. Milde beschien der Mond die pralle Rundung. Fatma sehnte sich dem Mond entgegen, dem Mond… oder irgendwem, hauptsache sie wurde geliebt. Dann fuhr sie zusammen. Ihre Mutter stiess sie mit dem Ellenbogen an. Vermutlich träumte sie; das Schnarchen wurde lauter. Fatma wurde mutiger. Vorsichtig schob sie die Bettdecke von sich. Wie dieses weisse Licht den Raum veränderte! Alle Gegenstände waren ihr so vertraut, dass sie sie schon fast nicht mehr sah… und jetzt traten sie als Umrisse hervor, als Umrisse von Fatmas Traum, als Reliquien von Fatmas erotischer Kulisse. Sie schloss die Augen und träumte sich einen der Harley-Helden vor der Bar herbei. Die knallenge Jeans, die sie trugen… die Lederkombis… diese knackigen kleinen Männerhintern… und die heissen, glänzenden Maschinen zwischen den Schenkeln… wieder seufzte Fatma unhörbar. Mit geschicktem Fingerspiel massierte sie ihre linke Brustwarze. Die Spitze wurde unmerklich dunkler und verhärtete sich. Ein Wonneschauer durchfuhr Fatma. Gut, dass sie niemand sehen konnte. Niemand ausser dem Mond. Langsam, ganz langsam, zog sie ihr Nachthemd hoch. Das Licht beschien ihre Füsse, die Waden, die gerundeten Knie, Fatmas Schenkel, die noch nie jemand ausser ihrer Mutter und ihr selbst gesehen hatte. Wie von unsichtbaren Fäden geführt glitt Fatmas Hand den Schenkeln entlang. Durfte sie sich entdecken? War Allah wirklich so streng? Das geheimnisvolle Haar, die ihre verbotenste Region bedeckte, gehörte doch ihr – und niemandem sonst? Fatmas Schamhaar hatte dieselbe Farbe und Konsistenz wie ihr Haupthaar: Tiefschwarz und glänzend war das Dreieck, das sie jetzt erkundete. Diskret verschwand der Mond hinter einer Wolke. Ob ihre Gebetskolleginnen auch manchmal an sich herum spielten? Fatma erschrak. Ihr Zeigefinger war feucht. Ob sie… nein, da war kein Blut. Da war eine glitzernde, glasklare Flüssigkeit, die süsslich duftete. Kühn leckte Fatma ihren Finger ab und führte ihn wieder an den Ort der Lust. Unverschämt beschien der Mond jetzt ihre Öffnung. Unwillkürlich zog Fatma die Schenkel etwas zusammen. Dann entspannte sie sich wieder und tastete nach der Stelle, von der die Lust auszugehen schien. Die Lust, die sie sogar die schnarchende Mutter vergessen liess. Vorsichtig bewegte sie ihren Mittelfinger über der Stelle auf und ab. Ihre Brüste hoben und senkten sich; Fatma öffnete den Mund zu einem Stöhnen. Ihr Kopftuch schimmerte mahnend auf dem Kleiderstuhl. Dann tastete sie tiefer und spielte, spielte… Ein dumpfes, warmes und gutes Gefühl durchzog ihren Bauch. Durfte sie das? Da war doch die Scharia… augenblicklich verschwand das gute Gefühl und kehrte zurück, sobald sie den Gedanken an das göttliche Gesetz verdrängte. Vorsichtig wie eine Gazelle bewegte sie ihr Becken, presste ihren Hintern gegen die durchgelegene Matratze. Sie befeuchtete mit der Zunge ihre Lippen und schloss die Augen. Bald würde es so weit sein, fühlte sie von ganz tief innen, bald würde sie in einem Meer von Farben zu sich selber finden. Ein plötzlicher Gedanke an die Frau, die auf der Dachterrasse heimlich gesteinigt worden war, hinderte sie aber an ihrem ersten Orgasmus.Sie war jedoch auf dem Weg zur Quelle.

[(c) by Anita I.]

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