Sonntag, 11. Mai 2008

Das Schamverbot

Im Schlafraum hing dieser typische süssliche Geruch von Mädchenachseln und Mädchenfüssen. Alle hatten sie hart gearbeitet an diesem Tag und sich nach dem Abendessen so rasch als möglich zur Ruhe gelegt. Geduscht hatten die wenigsten; das Wasser war ohnehin eiskalt. 50 Kilometer waren sie marschiert; 50 Kilometer unter der sengenden Tessinersonne, hatten sich Blasen geholt, geflucht wie richtige Soldaten und immer wieder die Wasserflasche (ein Schweizer Qualitätsprodukt) an die gesprungenen Lippen gesetzt.Die 20 jungen Frauen waren in der Kaserne von Losone interniert, einem trostlosen Gebäude, dessen Türen mit obszönen Sprüchen übersät waren, wo die Matratzen mieften und der Militärküchenchef ständig schlechte Laune hatte. Die Frauen waren eine Woche zuvor freiwillig zum militärischen Frauendienst eingerückt und in den ersten Tagen mit der öden Realität des Soldatinnendaseins konfrontiert worden.
Doch dann wurde alles anders. Schlag 4.00 Uhr ging im Schlafsaal das Licht an, und 20 übermüdete, verwirrte Frauen rieben sich ungläubig die Augen. Vor ihnen stand, in perfekt sitzender Uniform und mit streng zurückgekämmten Haaren, Leutnant Renate Briner. Die Frau war wirklich hart im Nehmen und kannte ihren Untergebenen (für Feministinnen: Untergebeninnen) gegenüber kein Pardon. Sie schlug die Hacken zusammen und fixierte über die Köpfe der Mädchen hinweg einen Punkt an der Wand. "Melde mich zur Information", liess sie sich mit eisiger Stimme vernehmen. "In zwei Stunden übernehmen bis zum Wochenende zwei Männer meinen Dienst."
"Männer?" Lorena, eine der Rekrutinnen, kicherte. "Ruhe!!! Ihr werdet in dieser Zeit für Tarnübungen geschult. Der Dienst verläuft ansonsten unverändert. Hinzu kommt ein absolutes Schamverbot. Ihr habt vor Euren Vorgesetzten nichts zu verbergen – auch wenn sie männlich sind. Im sogenannten Ernstfall..." die Augen des Leutnants blitzten gefährlich und duldeten keine Widerrede – "im sogenannten Ernstfall also... wären wir ja auch eingebunkert, gemischtgeschlechtlich, bei aufgehobener Intimsphäre. Wir müssten sogar voreinander urinieren."
(Anmerkung der Autorin: Die Schweiz ist tatsächlich unterbunkert; die gesamte Zivilbevölkerung ist im Besitz eines unterirdischen Schutzplatzes, sollte – entgegen sämtlichen Erwartungen – doch mal eine amerikanische oder chinesische Atombombe einschlagen.)
Ohne weitere Erklärungen verliess Leutnant Briner den Schlafsaal. Dann drehte sie sich nochmals um. Ihre Lippen hatten sich zu zwei Strichen verschmälert. "Die Türen zu den Duschräumen, den Toiletten und diesem Saal hier werden noch heute Nacht entfernt."
Keine der zwanzig Frauen liess sich ihre Aufregung anmerken. Das wäre unmilitärisch gewesen und hätte Sanktionen nach sich gezogen. Was das verhängte Schamverbot wirklich bedeutete, wurde ihnen erst am nächsten Morgen klar, als sie halbnackt im Waschraum standen. Unter der Tür erschien ein korpulenter, uniformierter Mann, der sie mit zusammengekniffenen Augen beobachtete. "Ein neuer Vorgesetzter wird salutiert (begrüsst)", brüllte er. "Achtungsstellung!!" Reflexartig liessen die Frauen die Zahnbürsten fallen, hoben die Hand an ihre Schläfen und begrüssten stramm den neuen Kommandanten. Dieser begutachtete genüsslich die Mädchen. "Mhm", brummte er. "In einer Stunde sehen wir uns unten beim Antrittsrapport".
Alle zwanzig Frauen stürzten sich in ihre Tarnanzüge, und im Nu waren die Betten gemacht. Sie schlürften im lieblos hergerichteten Essraum den wässrigen Militärkaffee und kauten lustlos auf ihren Broten herum. "Habt Ihr gesehen, wie der uns angestarrt hat vorhin? Männer sind Schweine!" Lorena knallte ihre leere Tasse hin und stampfte aus dem Esssaal. Der Küchenchef starrte ihr griesgrämig nach. Er war schwul und hatte den Zenit seiner Berufskarriere längst überschritten.
Punkt 8.00 Uhr standen die Soldatinnen in Reih und Glied auf dem Kasernenhof. Oberst Karl Bader hiess der beleibte Mann, der mit gestrenger Miene vor den Soldatinnen auf und ab ging, plötzlich vor Lorena stehen blieb und auf den Fussspitzen wippte. "Männer sind also Schweine", zitierte er die errötende Frau. "Das wird ein Nachspiel haben."
Der ganze Nachmittag war anstrengenden Tarnübungen gewidmet. Konditionstraining war angesagt, ein Dauerlauf, mehrere Kletterübungen und Nahkampf. Lorena war beinahe am Ende. Der Kampfanzug spannte sich über dem Hintern und kniff zwischen den Beinen, ihre dunklen Locken klebten an der Stirn und sie keuchte erschöpft, als Oberst Bader sie ein weiteres Mal zu einem Dauerlauf antreten liess.
"Ablegen!" herrschte er sie plötzlich an, als sie verschwitzt auf ihn zurannte. Zitternd blieb Lorena stehen und machte sie sich an ihrem Reissverschluss zu schaffen. "Schneller!" Nach neunzig Sekunden war sie nackt; auf ihrem Körper glänzte der Schweiss. "Umdrehen! Jetzt hinlegen! Beine anziehen! Arme hinter den Kopf!" Allen anwesenden Frauen war bewusst, dass ihre Kollegin hier schikaniert und gedemütigt wude, aber keine sagte etwas – auch diejenige nicht, die die arme Lorena wegen deren Bemerkung ("Männer sind Schweine") verraten hatte. Irgendwann hatte sich Oberst Bader satt gesehen und befahl der Soldatin, sich unter die Dusche zu stellen. "In fünf Minuten sind Sie zurück, Rekrut Castania!" rief er ihr nach. Lorena beeilte sich und betrat atemlos die Dusche. Das frische Wasser tat ihr gut; schade, durften sie hier nur Kernseife benutzen. Sie verteilte das bisschen Schaum, das entstand, auf ihrem Körper und rieb sich Achseln, Brüste, Bauch, Muschi und Oberschenkel ein. Lorena war erst 18 Jahre alt und der Schweizer Armee beigetreten, weil ihr Vater das so verlangt hatte. Wenn er bloss wüsste, was sie hier mit ihr machten... nie war sie allein. Immer unter diesen fluchenden, schwitzenden, stinkenden Frauen, die sich durch Schlamm wälzten, sich Schwielen an den Füssen holten und ihren Vorgesetzten in den Arsch krochen. Von Männern hätte sie nichts anderes erwartet, klar. Aber Frauen? Die arbeiteten doch alle in einem zivilisierten Beruf, wohnten in spiessigen Quartieren und hatten zum Teil schon Säuglinge gestillt?
Dann wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. "Rekrut Castania!" Mitten im Duschraum stand - wie aus dem Boden geschossen - ein hagerer Mittfünfziger, der aussah, als wäre seine Haut auf den Knochen bloss aufgemalt. Er sah sehr krank aus und er starrte sie aus gelblichen Augen an. "Ab in den Schlafraum, marsch!" "Aber ich..." "ICH BIN ES, DER HIER BEFIEHLT!!!" Lorena hatte keine Wahl, umso mehr, weil er mit einem Gummiknüppel vor ihr hin und her fuchtelte. Der Mann wirkte zwar, als könne ihn ein einziger Windstoss zu Boden werfen, aber trotzdem... man wusste ja nie. Nackt und nass, wie sie war, trottete sie vor ihm her in den Schlafraum. Mit einem Mal wurde er sanft. Er berührte sie an der Schulter, scheu wie ein kleiner Schuljunge, und bedeutete ihr, es sich auf dem Bett bequem zu machen. "Nuckeln will ich, nur etwas nuckeln! Rutsch noch etwas nach hinten, dann hab ich mehr Platz. Ich bin übrigens Leutnant Gerber." Er installierte sich so, dass er bequem an Lorenas Brüsten saugen konnte und reizte mit der Zunge ihre Nippel. Sie schwankte zwischen Ekel und Erregung, war aber gleichzeitig erleichtert, dass er sonst nichts von ihr wollte. Ihre Scham berührte er nicht mal, obwohl er problemlos Gelegenheit dazu gehabt hätte. Ein perverser Gentleman war er, ein militärischer Vorgesetzter, der bisher bei sich alles hatte unterdrücken müssen, was es zu unterdrücken gab.
Milde drang das Morgenlicht durchs Fenster.
Als er seine Lust gestillt hatte, liess er von Lorena ab und würdigte sie keines weiteren Blickes. Er fiel seitwärts vom Bett herunter, fasste sich ans Herz, liess einen langen Seufzer fahren und bewegte sich nicht mehr. Bevor Lorena sich mit der Situation auseinandersetzen konnte, drang ein markerschütterndes Kreischen an ihr Ohr. Im selben Moment kam ihr in den Sinn, dass sie ja schon lange wieder hätte unten sein sollen. Als sie den Kasernenhof betrat, bot sich ihr ein befremdliches Schauspiel. Die Soldatinnen standen splitternackt im Halbkreis. Vor ihnen befand sich ein Klettergerüst, an dem eine Querstange befestigt war. An dieser Stange hing mit zusammengebundenen Händen Julia. Die sonst ruhige und beherrschte Frau kreischte und zappelte wie wild, während Oberst Karl Baader sie am ganzen Körper mit einem Pinsel kitzelte, der am Ende einer langen Stange befestigt war. "Das soll ein Abhärtungstraining sein", flüsterte Soldatin Barbara Lehner Lorena zu, als diese zu den andern in den Kreis trat. "Er kitzelt uns so lange, bis wir nicht mehr lachen." Julia wand sich in der prallen Tessiner Sonne, warf den Kopf nach hinten, kicherte, stöhnte und schrie, während der fette Oberst sie kalt, ohne sichtbare Emotion, mit dem Pinsel traktierte, als wäre sie ein Stück Fleisch. "Wenn ihr Freund das wüsste!" Lorena war entsetzt. "Schweig, sonst bist Du die nächste!" Sie erhielt einen Stoss in die Rippen.
"Ablegen!" Erst jetzt wurde Karl Bader auf Lorena aufmerksam. In ihr stieg kalter Hass hoch. Dem würde sie es zeigen. Schulterzuckend stieg sie aus ihrem Tarnanzug; das machte ihr mittlerweile nichts mehr aus. Unterwäsche hatte sie gar nicht erst angezogen nach ihrem Abenteuer mit Leutnant Gerber. Mit aufreizendem Gang ging sie auf Oberst Bader zu, während zwei der andern Rekrutinnen Julia losbanden, die erschöpft in sich zusammensank. Der Oberst atmete schwer und hatte nur Augen für Lorenas Brüste. Diese war sich dessen wohl bewusst und liess sich widerstandslos an die Querstange fesseln. Auf dem Kasernenhof war es totenstill, nur schwach drang der Lärm einer entfernten Baustelle herüber. Wie eine Zitrone hing die Sonne am diesigen Tessiner Himmel. Gegen Abend würde ein Gewitter aufziehen. Mit öligem Grinsen näherte sich der Oberst und kitzelte Lorenas Bauch mit dem Pinsel. "Verdammt, ich muss mich beherrschen", dachte diese bei sich und atmete tief durch. Es klappte. Keine Regung ging von ihr aus. Der Oberst wich etwas zurück und machte sich mit dem Pinsel zwischen ihren Beinen zu schaffen. Lorena schloss die Augen und fühlte, wie die Blicke der Soldatinnen an ihr hafteten. "Schamverbot", murmelte sie vor sich hin. Ein paar Sonnenstrahlen brachten ihr Haar zum Leuchten. Dies war ihr Augenblick. Sie zog die Beine an, gönnte auf diese Weise Oberst Karl Bader einen letzten kurzen Blick auf ihre Körpermitte und zielte mit ihren Füssen auf seine fette Visage. Noch einmal. Und noch einmal. Zack! Zack! Zack! Wie ein Sack Kartoffeln schwankte er hin und her, während Lorena noch einmal zuschlug. Klatsch! Dann stolperte er und krachte mit dem Hinterkopf auf den Asphalt. Seine Augen verdrehten sich nach oben; dann kippte Oberst Karl Baders Kopf zur Seite.
Jubelnd befreiten die Frauen ihre Retterin und konnten erst jetzt zugeben, dass sie während der ganzen Zeit, in der das Schamverbot von Leutnant Renate Briner verhängt worden war, unter Schock gestanden hatten.
Lorena zog ihren Tarnanzug an und wusste eines ganz genau. Egal, was die Armeejustiz mit ihr tun würde: Sie hatte zum letzten Mal in ihrem Leben auf ihren Vater gehört.

[(c) by Anita I.]

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